Der kleine Ausreisser by Lise Gast

Der kleine Ausreisser by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-26T00:00:00+00:00


* * *

„Ja.“ Wieder schwiegen beide. Dann sagte die junge Frau herzlich:

„Liebes Fräulein Güldenstubbe, ich glaube, ich ahne, wie es in Ihnen aussieht. Schon gestern abend am Telefon merkte ich es. Sie hätten den Jungen gern zu sich genommen, stimmt das? Ich habe von Ihrem Leben gehört, so etwas spricht sich herum hier auf den Dörfern. Warum sollten Sie Ihren Plan aufstecken? Dieser Mann, Jockels Vater, wird, so glaube ich, dem Glück seines Sohnes nicht im Wege stehen. Er wird, nun er ihn gefunden hat, ihn nicht mehr aus den Augen verlieren wollen, aber warum sollte er nicht damit einverstanden sein, daß er bei Ihnen aufwächst? Wir müssen nur richtig mit ihm reden. Vor der Hand kann er ihn bestimmt nicht zu sich nehmen. Er hat kein Zuhause, Sie aber haben eins. Könnten Sie den Kleinen denn bei sich behalten, Sie müssen doch in die Schule? Und dort, wo Sie wohnen, ist es sehr einsam?“

„Ja, aber, ich könnte ihn doch mitnehmen!“ Ilme wurde ganz lebhaft. „Früh, wenn ich in die Schule fahre, könnte er mit ins Schulhaus kommen. Hartwigs hätten bestimmt nichts dagegen, wenn er den Vormittag über bei ihnen ist. Und nachmittags käme er wieder mit mir in das Forsthaus, zu meinen Tieren, zu mir.“ Ihr kamen die Tränen. Die junge Frau umarmte sie noch einmal, drückte sie an sich, warm, herzlich, voller Liebe und Verständnis.

„Dies alles kann doch so werden, wie Sie es sich ausgemalt haben“, sagte sie. „Gottes Wege sind oft wunderbar. Und was ich tun kann, Ihnen zu helfen, das tue ich, glauben Sie mir! Vielleicht ist es für den armen Mann da draußen die Wende in seinem Leben, daß er einen Sohn hat und ihn besuchen darf. Er darf doch?“

„Aber natürlich!“ sagte Ilme rasch. „Ich habe Platz, ich kann ihm ein Zimmer einrichten, damit er weiß, wohin er gehört, wenn er zum Wochenende oder zum Urlaub kommt. Denn arbeiten wird er ja müssen, und da muß er in der Nähe seiner Arbeitsstelle wohnen. Aber in seiner Freizeit ...“

„Da wäre er Ihnen willkommen?“

„Aber natürlich! Oh, ich weiß schon“, Ilme strahlte, „ich mache es ihm schön und gemütlich. Er soll eine Heimat haben bei seinem kleinen Sohn.“

Auf einmal wurde ihr bewußt, daß sie außer dem Jungen noch etwas geschenkt bekommen hatte an diesem wunderbaren Weihnachtsfest: eine Aufgabe. Einem einsamen Menschen ein Heim zu bereiten, ein Zuhause – war das nicht eine der schönsten Aufgaben dieser Welt?

„Damit ich die Liebe, in der ich leb, liebend an andere weitergeb ...“

„Ich hole Jockels Vater, dann können Sie alles mit ihm besprechen“, sagte die Heimmutter und ging hinaus. Ilme atmete tief. Ein Wunder, warum sollte nicht ein Weihnachtswunder geschehen, auch heute noch?



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.